2015 WhyPlayJazz (RS016LP), Vinyl LP + MP3 Album Download
Philipp Gropper (ts), Ronny Graupe (git), Christian Lillinger (dr)
Recorded December 2013 by Gleb Zagrebin live at A-Trane, Berlin, Germany. Mixed by Marck Fuck. Mastered by Klaus Scheuermann. Artwork by Natalie van Sasse van Ysselt.
Diese Live-Aufnahme von zwei Konzerten im legendären A-Trane in Berlin ist gleichzeitig Rückblick auf und Zusammenfassung von einem Jahrzehnt Bandgeschichte des in Berlin lebenden Trios aus Saxophonist Philipp Gropper, Gitarrist Ronny Graupe und Schlagzeuger Christian Lillinger, das sich ganz passend Hyperactive Kid nennt. Mit vier veröffentlichten Alben und dem Ruf, bei Live-Auftritten keine Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen, ist das Trio zu einem wichtigen Bestandteil der Berliner Avantgarde-Szene geworden. Diese hat sich hier, wie auch in anderen europäischen Hauptstädten, seit der Jahrtausendwende entwickelt und nach Jahrzehnten der relativen Stagnation zu einer Renaissance der ambitionierten europäischen Jazz- und Improvisierten Musik geführt. In den letzten zehn Jahren haben Hyperactive Kid zahlreiche Konzerte auf allen fünf Kontinenten gegeben und dabei ihren Sound und ein eigenes musikalisches Konzept entwickelt. Auf dem Album präsentiert die Band fünf eigene Kompositionen. Für drei davon zeichnet Gropper verantwortlich, eine wurde von Graupe komponiert und die letzte wird allen drei Bandmitgliedern zugeschrieben.
Wie bei der heutigen Generation junger Jazzmusiker gang und gäbe, ist jedes Mitglied des Trios auch noch in anderen Ensembles aktiv. Dabei spielen sie nicht nur Nebenrollen, sondern engagieren sich auch in eigenen Gruppen: Gropper ist Kopf von PHILM und TAU, Graupes Trio heißt SPOOM und Lillinger leitet das Septett GRUND. Diese an Hektik grenzende Geschäftigkeit ist unter jungen europäischen Musikern heutzutage häufig anzutreffen. Anscheinend sind sie mit zu viel Kreativität und Talent gesegnet, als dass sich diese an nur einem Ort voll entfalten könnten.
Die Musik von Hyperactive Kid ist ein hochgradig energiegeladener und emotionaler Austausch von Ideen und Stimmungen. Sie strotzt vor Spontanität, ist aber gleichzeitig so „gut organisiert“, dass sie aufgeschlossenen Zuhörern den Zugang ermöglicht. Freiheit und Disziplin im Zusammenspiel gleichen sich aus. So entsteht ansprechende und anregende Musik, die den Zuhörer bei Laune hält.
Der europäische Jazz ist weiterhin in der Lage, sich immer neu zu erfinden, und entfernt sich dabei mehr und mehr von der veralteten Mainstream-Tradition. Die Musiker dieses Trios gehören zu einer Generation, die tatkräftig zur Revitalisierung der europäischen Szene beigetragen hat. Dabei ist es Hyperactive Kid gelungen, die verschiedenen Stimmungen, die vor zehn Jahren in der Luft lagen, zu einer sehr intelligenten und extrem reichhaltigen Musik zu verschmelzen. Die Musiker führen ihre Arbeit gewissenhaft fort, haben sich für den Erhalt der Gruppe und ein kontinuierliches „Tiefergehen“ entschieden und so mit ihrem Trio Kultsymbolcharakter erreicht. Sie haben Vorbildfunktion, was Arbeit und klangliche Kohärenz angeht. Sie sind voll in ihrem Element und werden nicht müde, furchtlos und häufig gegen alle Widrigkeiten und Modererscheinungen der zeitgenössischen Unkultur, die Ästhetik des Jazz zu erkunden. Wir als Zuhörer dürfen unsere geliebte Musik gesund und munter erleben und bei dieser neuen Phase ihres Evolutionsprozesses begleiten. Gropper, Graupe, Lillinger und wie sie alle heißen. Europa ist unsere Hoffnung auf das Überleben von dem, was wir als wahre Kultur ansehen. Auch dann, wenn wir diese eher in Katakomben als in Amphitheatern erleben dürfen. Aber wenn man es sich recht überlegt, war das Programm in den Katakomben schon immer interessanter.
Mit einer unglaublichen Wucht und dem ihr eigenen Ergebnis aus Zusammenarbeit, Disziplin und Freiheit hat die Band des Saxofonisten Philipp Gropper und der beiden Rolf-Kühn-Unit-Mitglieder Graupe und Lillinger die neuen Berliner Sounds in die Welt exportiert – auf der Live-Aufahme ist gut zu hören, wie die drei Klangforscher kommunizieren und was sie verzückt, wie sie neue Strukturen gefunden, entwickelt und verinnerlicht haben, wie sie sich sperren gegen den kommerziellen Mief und sich gleichzeitig einem fiebrig romantisierten Avantgarde-Idyll verpflichtet haben. Auch in den Titeln der fünf Kompositionen wird spürbar, was das Referenzsystem des Trios hergibt: Von „Legacy“ über „Wes“, „Cocody“ und „Sound to Groove“ zu „Bloom“ – das Beste aus der Geschichte freischaffender Klanggewinnung leuchtet in den kurzweiligen Improvisationen des Trios auf, wird zerfetzt, geklebt, neu gestaltet und dokumentiert.
The fourth album of the Berlin-based Hyperactive Kid trio – tenor sax player Philipp Gropper, guitarist Ronny Graupe and drummer Christian Lillinger, all leaders of their own outfits and members of countless others – suggests how European free jazz may sound in the 21st century.
The album offers the trio aesthetics at its best – strong, opinionated musicians yet their music is framed in a highly collaborative interplay, well-versed in the legacy of jazz but with an independent sound of its own, not bound to any genre or style and intense but not addicted to sheer outbursts of energy.
The live recording from the legendary A-Trane Club in Berlin and features the trio developing stimulating, non-linear pieces as a highly creative unit that knows how to balances between the urgent need for individual freedom and disciplined, supportive interplay. Each piece demonstrates differently these qualities. The album begins with the ironic «Legacy» that stresses the trio refusal to subscribe to any kind of legacy. This short introduction set the atmosphere – loose, energetic interplay that patiently gels in its last seconds into a dense, cathartic eruption. The following «Wes» alternate between a playful, tough rhythmic module that gains more power and more volition, but suddenly morphs into abstract, moody sonic searches. «Cocody» plays on a similar formula – urgent, swinging pulse, obscured suddenly by contemplative segments and back to the irresistible, rhythmic ride. «Sound to Groove» highlight the disciplined shaping of a spare theme, patiently moves between short, silent pauses until its tension reaches its climax and then gravitates to a free-form, rhythmic edge.
The last and longest piece, the 17-minutes «Bloom», summarizes all former approaches – explorative sonic musings, deep, emphatic interplay and rich palette of sounds that patiently accumulate into energetic flow of surprising ideas, that keeps the spirit of tension and danger throughout this impressive piece.
Aufgenommen live im Berliner Jazzclub A-Trane, sprüht diese LP nur so vor Energie, Dynamik, individueller Intensität, Spielfreude, Spielwitz und innovativen Klangkombinationen. Musik frei, freier, am freiesten. Frei vor allem für ganz persönliche Entdeckungsreisen in den Klangkosmos dieser drei Avantgardisten. Und selbst wer bei diesem freien Fall ins Wunderland der freien Klänge nach Haltegriffen sucht, wird fündig: „Legacy“ können Jazzgeübte irgendwo in der Geschichte des freien Jazz verorten, „Wes“ bezieht sich natürlich (unter anderem) auf Wes Montgomery, „Cocody“ kokettiert mit Rock-Attitüden, „Sound to Groove“ wird dominiert von groovenden Saxophonklängen, und „Bloorn“ - ist wohl ganz einfach Hyperactive Kid. Diese Musik klingt natürlich vom Vinyl noch einige Male intensiver als von CD.
Schlagzeuger Christian Lillinger, 1984 geboren, ist gut fünf Jahre jünger als seine beiden Freunde und Bandmates, Saxofonist Philipp Gropper, 1978 geboren, und Gitarrist Ronny Graupe, 1979 geboren. Dass sie nun, noch so jung, als Trio Hyperactive Kid tatsächlich auf zehn Jahre Bandgeschichte zurückblicken, ist überraschend und faszinierend zugleich. Überraschend, weil Hyperactive Kid es seinem Publikum nie leicht gemacht hat: mit einer tief in der Kultur Europas verwurzelten Musik, die wie selbstverständlich etwa die brachial energetischen Soundgewitter des Rock mit den sperrigen Clustern und gebrochenen Rhythmen einer improvisierten Avantgarde in Einklang bringt. Faszinierend deshalb, weil sich Gropper, Graupe und Lillinger das Bilderstürmerische, das Anarchistische und ihre emotionale Freiheit vergangener Jahre bewahrt haben und auch heute noch mit ihrer nicht alltäglichen Improvisationsmusik trittsicher den Weg wählen, der am Steinigsten zu werden verspricht.
Auch zehn Jahre nach ihrer Gründung haben Hyperactive Kid nichts von ihrer quecksilbrigen Dynamik verloren, vielmehr zeigen sie vorbildlich, dass man, um energisch zu sein, nicht permanent bei maximaler Lautstärke operieren muss. Manchmal entwickeln sie die Dinge ganz behutsam. "Sound to Groove" etwa beginnt mit scheinbar strukturlos vor sich hin stolpernden Stakkato-Tönen, um aus diesen versprengten Molekülen den titelgebenden Groove entstehen zu lassen. Das hyperaktive Kind, das die Musiker gemeinsam bilden, ist erwachsener geworden. Doch die spontane Entdeckungsfreude ist immer noch vorhanden.
Le loro composizioni non cedono mai all'espressione per sezioni e trasformano così tempo e spazio sonoro in un unico suono, percepibile come una soluzione di logica continuità: attraverso network sonori inimmaginabili prima della loro costituzione, creano collegamenti tra ambienti e linguaggi della musica che lasciano a bocca aperta anche i più esperti ascoltatori, per la coerenza della costruzione sintattica e timbrica. Dal vivo sposano una straordinaria ed efficace sensibilità musicale: quella che attiene ad un perfetto equilibrio tra le ragioni del cuore e della mente. È la musica di oggi.